Forschungsbereich Geschichte und Ethik in der Medizin
Kooperierende Personen und Institutionen

 

Heinz-Peter Schmiedebach
Institut für Geschichte und Ethik in der Medizin
Universität Hamburg

Thomas Müller ist Kooperationspartner im Projekt „Kulturen des Wahnsinns (1870—1930). Schwellenphänomene der urbanen Moderne“ der DFG-Forschergruppe FOR 982 unter Leitung von Volker Hess, Berlin und Heinz-Peter Schmiedebach, Hamburg.

Zusammenfassung der Leiter des Projekts „Kulturen des Wahnsinns“:

Ziel der Forschergruppe ist es, zu einer Geschichte des Wahnsinns als Feld moderner Urbanität beizutragen. Wahnsinn im Sinne des Projektansatzes erfasst kulturelle Figurationen, Topographien und Typologien moderner Alterität. Diese eröffnen zugleich die Möglichkeit einer Neubestimmung von Subjektivität und Individuation, die sich in den Jahren zwischen der Gründung des Deutschen Reiches und dem Vorabend des Nationalsozialismus vollzog und den Beginn einer „urbanen Moderne“ markiert. Mit dem Begriff des Schwellenraumes wollen wir die Ausdrucks-, Regulierungs- und Diskursivierungsformen modernen Wahnsinns als urbanem Dispositiv analysieren. Übergangs- oder Schwellenphänomene markieren die Aushandlungsbereiche sehr unterschiedlicher Wissensräume und sozio-kultureller Lebens- und Erfahrungsbereiche: Biographisch können Sie von den Betroffenen und ihren Angehörigen als Einbruch und Dekompensation des Alltags erlebt und verarbeitet werden, politisch von Fürsorge- und Sozialeinrichtungen in Interventions- und Unterstützungsstrategien bürokratisiert werden, institutionell von Heilanstalten durch administrative Regelwerke verwaltet und medizinisch schließlich als psychiatrische Symptomatik konzeptualisiert werden. Schwellenphänomene des urbanen Wahnsinns werden aber auch in der Literatur, der Malerei und der bildenden Kunst dargestellt und anhand ästhetischer Kriterien ausgehandelt, in Theater, Film und Musik inszeniert und performativ vermittelt, ebenso in Bohèmekulturen und Verhaltensstilen artikuliert, als unheimliche Instanz des Übersinnlichen im Okkulten ausgemacht oder auf die Figur des Künstlers projiziert. Anhand der Analyse von Wert- und Handlungsmustern in diesen Schwellenbereichen  werden die komplexen Interaktionen zwischen Kranken, Angehörigen, engagierten Laien, teilnehmender Öffentlichkeit, Fürsorgevertretern, städtischen Beamten, Geistlichen, Künstlern, Kulturkritikern und schließlich Ärzten und Wissenschaftlern erfasst. Diese Multiperspektivierung rekonstruiert Phänomene moderner Alterität und erlaubt sie als urbane Spielarten des Wahnsinns in ihrer kulturellen Wirkmächtigkeit zu untersuchen.
Methodisch zielt die Forschergruppe auf die historische Topographie jener Schwellenphänomene, die den Wahnsinn als urbanes Phänomen in seinen diskursiven, epistemologischen, institutionellen und medialen Dimensionen entfalten. Sie erschließt die Interferenzen zwischen Subjekt- und Kulturgeschichte, zwischen Wissen und Wahn, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, und eröffnet folglich sehr unterschiedliche Erklärungs-, Deutungs-, Repräsentations- und auch Sinnmuster, die aus den Differenzen kultureller Milieus entstehen und dem Bedeutungsraum von Wahnsinn in der sich entfaltenden Großstadtkultur bilden.

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