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10. Febr. 1895 | Geboren in Ebingen, evangelisch, keine Geschwister. |
1909 | Schule abgeschlossen, Lehrstelle bei Maler Daiber. |
1912 | Abschluss der Malerlehre, Teilnahme an Abend- und Sonntagskursen in der Städtischen Malerschule München. |
Febr. 1913 | Zurück nach Ebingen, dann wieder in München, vergeblicher Versuch, an der Kunstgewerbeschule aufgenommen zu werden, kurzzeitig in Wien als Theater- und Kulissenmaler. |
Juni 1915 | Einberufung zum Militär, Fronteinsatz, verwundet. |
Dez. 1918 | Wieder in Ebingen, eigene Malerwerkstatt, malt nebenher künstlerisch, zwischenzeitlich in Stuttgart und Freudenstadt, lebt wieder bei den Eltern, wirdwegen seiner Eigenheiten verspottet. |
Okt. 1932 | Tod der Mutter, seither gedrückte Stimmung. |
1933 | Durch politische Umwälzungen beunruhigt psychisch auffällig. |
15. Juli 1933 | Aufnahme in die Heilanstalt Zwiefalten, schwere depressive Psychose wird als "Schizophrenie" diagnostiziert. |
1934-1935 | Beginnt wieder zu zeichnen und zu malen, Landschaften, auch biblische Motive, hervorragende Aquarelle mit ausgeprägtem Farbensinn, bringt sein Leiden in symbolischer Weise zur Darstellung. |
Juli 1936 | Entfernt sich aus der Anstalt, wird nach vier Tagen aufgegriffen. |
1937 | Tod des Vaters, zunehmend depressiv, gehemmt, zurückgezogen und malt trotz sanften Drängens seiner Förderer immer weniger. |
13. Feb. 1938 | Albert Speck stirbt im Alter von 43 Jahren. |
Als der französische Psychiater Phillipe Pinel 1793 die Irren von ihren Ketten befreite, wies er ihnen geregelte Tätigkeiten zu, um sie aus ihrem Stumpfsinn zu erlösen. In bester Tradition übernahmen deutsche Psychiater die Idee. Der Zwiefalter Direktor Carl Schäffer sah die nützliche Hilfe im Anstaltsbetrieb als das wertvollste Mittel,
„die Kranken der Besserung zuzuführen und sie vor immer tieferem Sinken zu bewahren. Von allen körperlichen Beschäftigungen stehen die Garten- und Feldarbeiten an erster Stelle, teils weil sie den Kranken den ganz unbeschränkten Genuss der frischen Luft gewähren, teils weil sie vielfach so einfach sind, dass sie auch noch von ganz Blödsinnigen brauchbar verrichtet werden können, und endlich, weil sie meist in Gesellschaft und durch das Zusammenwirken einer größeren Zahl von Pfleglingen ausgeführt werden müssen, wodurch die Kranken am besten an das Zusammenleben gewöhnt und von ihrem beständigen Allein-und-für-sich-sein-wollen abgebracht werden.“
Wer nicht arbeiten konnte oder wollte, verbrachte den Tag auf dem Zimmer, auf dem Korridor oder im Garten.
Eine Gesellschaft, die die „Irren“ und „Idioten“ hinter feste Mauern wegschließt, bildet eine Anstaltskultur heraus, die sich an den bürgerlichen Idealen von Kultur und Bildung orientiert und geprägt ist vom Wunsch an der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
In den Anstalten entstehen
Fester Bestandteil des Anstaltsalltags sind Feste, zu denen die Bevölkerung eingeladen wird, um Normalität zu zeigen und Verständnis zu schaffen.
Der 24jährige Josef Demetz, aus St. Ulrich im südtiroler Grödnertal, gehörte mit zu den 300 südtiroler Patienten, die Ende Mai 1940 aus der Anstalt Pergine nach Zwiefalten deportiert wurden. Im Zuge der „Umsiedelung“ deutschsprachiger Südtiroler mussten auch Patienten von Heilanstalten, zum Teil gegen ihren Willen, ihre Heimat verlassen.
Josef Demetz litt seit dem 13. Lebensjahr an epileptischen Anfällen. In Zwiefalten, so die erste Aktennotiz, galt er als „arbeitswillig“, also ging er täglich mit einer Gruppe Patienten unter Aufsicht eines Pflegers zum Arbeiten bei den Bauern. Die ganzen Kriegsjahre wurde er zu landwirtschaftlichen Arbeiten und zum Kohleschippen herangezogen, bis er im Frühjahr 1945 bei einem schweren Arbeitsunfall seinen rechten Arm verlor.
Die „Südtiroler“ verblieben nach dem Krieg in der Zwiefalter Anstalt – auch der einarmige Demetz, der mit Botengängen für die Anstalt beschäftigt wurde. Im Laufe der Jahre fand man für seine epileptischen Zustände geeignete Medikamente, so dass Anfälle nur noch ganz selten auftraten. Zu Verbesserung seines Befindens trug sicher auch die Tätigkeit bei, die er im Anstaltsbetrieb gefunden hatte und die er jahrzehntelang zuverlässig ausübte. Er versorgte mit einem allseits bekannten Eselskarren die Außenstellen Bühlhof und Loretto täglich mit der Essenslieferung.
Sonntags erhielt er freien Ausgang und schaute sich im Ort Fußballspiele an oder besuchte das Kino. Außerdem ging er regelmäßig zur Kirche und war sogar viele Jahre lang Vorbeter beim katholischen Gottesdienst. Als „Schlüsselträger“ genoss er das Vertrauen aller Mitarbeiter im Haus und war im ganzen Ort beliebt. Den Kontakt zu seinen verbliebenen Angehörigen hielt Josef Demetz durch Briefe aufrecht. Aber erst nach mehr als 30 Jahren gab es ein Wiedersehen mit seiner Schwester in Südtirol. Neben den Urlauben, die er von nun an sommers bei seinen Verwandten verbrachte, wäre in den 80er Jahren schließlich eine Rückkehr an den Tiroler Herkunftsort doch möglich gewesen. Eine schwierige Entscheidung, welche dem betagten Mann nach über 50 Jahren, in denen ihm Zwiefalten und die Anstalt zum Zuhause geworden waren, verständlicherweise schwer fiel.
Ein Mensch hat psychische Beschwerden, und Ärzte aus 2000 Jahren stellen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Epoche eine psychiatrische Diagnose.
In diesem Zeitraum hat sich das Wissen um psychiatrische Erkrankungen, deren Bezeichnung, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten immer wieder gewandelt. Über die rein medizinische Funktion hinaus haben psychiatrische Diagnosen aber auch das Selbstverständnis der Betroffenen geprägt. Diagnosen spiegeln in verkürzter Form wider, wie die jeweilige Gesellschaft Begriffe wie „Seele“, „Geist“, „Krankheit“, aber auch „Normalität“ definiert und wie sie mit den betroffenen Menschen umgeht.
Das Projekt will einladen, ausgehend von einem betroffenen Menschen, diese teilweise sehr verschlungenen Pfade der Psychiatriegeschichte nachzuvollziehen.
Die nationalsozialistische „Aktion T4“ begann in Südwestdeutschland. Im September 1939 wurden alle staatlichen Heil- und Pflegeanstalten, sowie private und kirchliche Einrichtungen vom Reichsinnenministerium aufgefordert, ihre Kranken zu melden. Für jeden Kranken musste ein Meldebogen ausgefüllt werden, in dem nach
In der Berliner Zentrale, der Tiergartenstr. 4 (daher der Deckname T4), wurden alle Meldebögen ausgewertet. Für die Gutachterärzte waren die Kranken „lebensunwert“,
Das ganze Jahr 1940 wurden die Kranken aus den Anstalten geholt, um sie in der Grafeneck Gaskammer zu ermorden. Über 10.000 psychisch kranke Männer, Frauen und Kinder fanden hier den Tod. Anfang 1941 wurde die Vernichtungsanstalt in Grafeneck aufgelöst, aber das Morden ging in Hadamar, in Bernburg, in Brandenburg, in Sonnenstein bei Pirna und in Hartheim bei Linz weiter.
Bis zum Jahr 1888 wurden verstorbene Kranke der Pflegeanstalt auf dem Gemeindefriedhof bei der Kirche in der Ortsmitte von Zwiefalten bestattet. Die hohe Belegung der Anstalt - die Zahl der Kranken kam der Einwohnerzahl der Gemeinde Zwiefalten gleich - trug mit dazu bei, dass der Platz auf dem Ortsfriedhof nicht mehr ausreichte. Deshalb beschloss der Gemeinderat, für die Patienten der Anstalt einen eigenen Begräbnisplatz einzurichten. Auf Kosten der Gemeinde wurde eine entsprechende Begräbnisstätte an der "Bronnensteige" eingerichtet und 1889 der Anstalt übergeben.
Der Beschluss der Neuanlage eines Friedhofs ausschließlich für Anstaltsangehörige war umstritten. Die Anstaltsdirektion und die beiden Kirchen-gemeinden waren gegen eine Trennung der Bestattungsplätze, fügten sich aber dem Votum des Gemeinderates.
Mit der Anlage eines neuen, am Rand der Gemeinde liegenden Friedhofs hielt auch eine neue - säkularisierte - Bestattungspraxis Einzug: Das Reihenbegräbnis. Hier ist allein das Sterbedatum für den Standort des Grabes ausschlaggebend, auf persönliche oder religiöse Bindungen wird keine Rücksicht genommen. Die neue Praxis führt zu einer Vermischung der Konfessionen auf dem Friedhof, was auf den Widerstand der katholischen Seite stieß. Als Direktor Koch im Dezember 1889 feststellte, dass auf dem neuen Friedhof begonnen wurde, nach Konfessionen ge-trennt zu bestatten, schrieb er einen harschen Brief an das katholische Pfarramt und verlangte, die konfessionelle Abtrennung in Zukunft zu unterlassen.
Julius Ludwig Koch lebte bis zu seinem Tod 1908 in Zwiefalten. Er wurde auf seinen Wunsch hin auf dem Anstaltsfriedhof begraben. Sein Gedenkstein ist heute noch dort.
Griesinger ist die Lichtgestalt unter den württembergischen Psychiatern und gilt als Begründer der deutschen Psychiatrie. In seinem wohl berühmtesten Aufsatz „Über Irrenanstalten und deren Weiterentwicklung in Deutschland“, den er 1868 wenige Monate vor seinem frühen Tod veröffentlichte, kritisierte er den Ausbau der großen Anstalten. Er forderte stattdessen die Einführung der Familienpflege und der landwirtschaftlichen Kolonien:
„Zwei Hauptarten freierer Verpflegungsform lassen sich in der Gegenwart ausführen, deren jede wieder mannigfacher Modifikationen fähig ist, die agrikole Kolonie und die familiale Verpflegung. Die familiale Pflege gewährt, was die prachtvollste und bestgeleitete Anstalt der Welt niemals gewähren kann, die volle Existenz unter Gesunden, die Rückkehr aus einem künstlichen und monotonen in ein natürliches soziales Medium, die Wohlthat des Familienlebens.“
Der engagierte Griesinger hatte auf seinen vielen Reisen das „Non-Restraint“-Prinzip in England, die „agrikolen Kolonien“ in Frankreich und die Familienpflege in Belgien studiert. Vor allem die Abschaffung allen mechanischen Zwangs, die er an der Berliner Charité durchsetzte, und seine Forderung nach „Stadtasylen“ brachte ihm die erbitterte Gegnerschaft vieler Anstaltspsychiater ein. Seine gemeindenahen Stadtasyle, vergleichbar mit heutigen Polikliniken, sollten
Im Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803, der die Säkularisation kirchlicher Güter verfügte, war im Paragraph 35 fest-gelegt, dass mit dem Vermögen auch der Aufwand „für Gottesdienst, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten“ an den Staat überzu-gehen habe. Denn wer Vorteile wahrnehme, müsse auch die damit ver-bundenen Nachteile tragen.
Mit dieser Verpflichtung war die administrative Voraussetzung geschaf-fen, die längst fällige Reform des öffentlichen Gesundheitswesens und damit der Irrenpflege einzuleiten. Unmittelbare Folge war die Planung einer zentralen Irrenanstalt in Zwiefalten, die 1812 eingerichtet wurde.
Als staatliche Anstalten folgten
Als Beispiel für die rasche Entwicklung der Therapien zwischen 1955 und 1975 ist hier die Krankengeschichte der Hermine R. dargestellt. Sie war von 1955 bis 1974 fünfmal im PLK Zwiefalten.
Änderte sich während ihrer Aufenthalte an der Diagnose „Paranoide Schizophrenie“ wenig, so doch einiges in den Behandlungsmethoden:
Insulinkur
Vom 3. August bis zum 14. Oktober 1955 wurde sie mit einer Insulinkur behandelt.
Im ärztlichen Abschlussbericht wird berichtet, immer „wieder wollte sie uns zu
einem vorzeitigen Abbruch der Kur bewegen. Es war notwendig, mit gütiger Strenge
und harter Konsequenz täglich von Neuem unseren Einfluß geltend zu machen.“
Elektrokrampfbehandlung
Gegen Ende der Insulinkur wurde mit einer Elektrokrampfbehandlung begonnen,
die zur weiteren Besserung führte: „Der gequälte Gesichtsausdruck ist
verschwunden. Sie kann sich an einer ungezwungenen Unterhaltung beteiligen,
auch einmal herzlich und befreiend lachen.“
Heilschlafbehandlung
Nach der Verschlechterung des Zustandes wird Hermine R. im Jahr 1962 einer
„Heilschlafbehandlung mit Neurocil“ unterzogen, die zu einer „ge-wissen
Beruhigung“ führt. Sie ist „nicht mehr so gequält wie bei der Aufnahme.“
Neuroleptika
Im Jahre 1974 erfolgt die Behandlung mit Neuroleptika (Haloperidol),
die dämpfend und antipsychotisch wirken. Im Pflegebericht wird zufrieden
festgestellt: „Pat. ist nett wie tags zuvor. Nachmittags ging sie mit in
den Garten, wo sie sich sehr wohlfühlte u. den Schwestern sehr dankbar war“.
Am 30. Dezember 1895 gründeten 30 honorige Herren auf "Anregung des Herrn Dr. Kreuser" in Stuttgart den "Hilfsverein für reconvalescente Geisteskranke in Württemberg". Die meisten der 30 Gründungsmitglieder waren bekannte Anstaltspsychiater und die anderen höhere Beamte und Geistliche.
Ziel des Hilfsvereins war "die Irrenfürsorge außerhalb der Anstalten" aufzubauen, dazu sollten
Die finanzielle Grundlage der Unterstützungen an die Hilfsbedürftigen waren vor allem die privaten Spenden, deren Geldgeber jährlich veröffentlicht wurden. Auch viele größere Städte, kommunale Körper-schaften und die Landesorgane der katholischen, evangelischen und jüdischen Glaubensgemeinschaften spendeten regelmäßig und erhielten dafür die Rechenschaftsberichte übersandt.
Der Hilfsverein hat nationalsozialistische Gleichschaltung und Krieg überlebt. Heute ist der "Hilfsverein für Nerven- und Gemütskranke in Baden-Württemberg" wichtig bei der Verteilung staatlicher Zuschüsse an die vielen sozialpsychiatrischen Initiativen vor Ort.
Mit der Herausbildung des Anstaltswesen und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge für Geisteskranke entwickelte sich auch die moderne Form der Dokumentation staatlichen Handelns: Das Anlegen von Akten. Die Krankenakten sind daher – neben dem Zugang zum individuellen Schicksal der Menschen - auch eine hervorragende Quelle für eine Geschichte der staatlichen Anstalten.
Dem Zwiefalter Leiter wurde schon bei Eröffnung der ersten königlichen Staatsirrenanstalt aufgetragen, „ein genaues Tagebuch zu führen und die Resultate“ seiner Behandlung der Dienstaufsicht „alljährlich einzusenden.“
Mit den Fortschritten in der Diagnostik, bei den Behandlungsmethoden und der wachsenden Gesundheitsbürokratie nimmt auch der Umfang der Krankenakte zu. Anfang des 20. Jahrhunderts bildet sich das Schema für die moderne Krankenakte heraus. Sie enthält:
Heute, in der Zeit der „Drehtürpsychiatrie“ mit ihren immer kürzeren, aber häufigeren Krankenhausaufenthalten, dient die Krankenakte der raschen Einsicht in die verordneten Medikamente und den Behandlungs-verlauf. Es besteht aber zunehmend die Gefahr, dass hinter Standardformularen und elektronischen Datenbanken das Gesicht des Patienten verloren geht.
Heinrich Kreuser gehört zu den Anstaltspsychiatern der Jahrhundert-wende, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind. Er hat nur ein wissenschaftliches Buch veröffentlicht, "Krankheit und Charakter" aus dem Jahr 1916, aber viele Zeitungsartikel verfasst und zahlreiche Vorträge gehalten, die sich oft an Laien gerichtet haben. Er suchte die engen Anstaltsmauern zu überwinden und hat den "Hilfsverein für rekonvalescente Geisteskranke" in Württemberg gegründet.
Kreuser hatte in Tübingen, Kiel und Leipzig Medizin studiert. 1878 trat er eine Stelle als Assistenzarzt im Katharinenhospital in Stuttgart an. 1880 wechselte er in die Heilanstalt Winnental und wurde 1892 zum Direktor der Heilanstalt Schussenried ernannt. Hier blieb er bis 1902, um dann als Direktor nach Winnental zurückzukehren. Am 19. Dezember 1917 erlag Kreuser einem Schlaganfall, als er auf dem Weg zu einer Versammlung der Kriegsfürsorge war.
Eine große Trauergemeinde versammelt sich am 23. Dezember 1917 auf dem Stuttgarter Pragfriedhof. In den sehr persönlichen Nachrufen wird er als ein "Anhänger der freien Behandlung der Geisteskranken" gewürdigt, der "über den psychiatrischen Schulen gestanden" habe und von "seinen" Patienten verehrt und "Vater Kreuser" genannt worden sei.
Über das Interesse an "nicht wirklich gelungenen Machwerken" und "eigenthümliche Bildern" von Anstaltspatienten
Schon Krankenakten aus der Mitte des 19. Jahrhundert enthalten gelegentlich Sammlungen von schriftlichen Zeugnissen sowie Zeichnungen aus der Hand des vorgestellten Patienten. Als Kuriosa gesammelt und in Mappen mit Titeln wie "Schriften", "Korrespondenz" oder "Schriftsätze" zusammengestellt, wurden diese Patientenarbeiten den Aufzeichnungen des Arztes angefügt.
Die hier gesammelten Patientenäußerungen dienten häufig als Beweis-stücke für die Abweichung des Kranken, für sein nicht-konformes Verhalten und seine von den Konventionen und Normen abweichende Wahrnehmung und Darstellung der Realität. Die so zur Quelle geadelten bildnerischen Arbeiten boten und bieten auch heute noch einen Einblick in die Lebens- und Vorstellungswelt der Patienten.
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts verstärkte sich das Interesse an der künstlerischen Qualität von Patientenwerken und überlagerte den diagnostischen Blick. Es folgte eine Phase systematischen Sammelns und Auswertens von "bildnerischen Arbeiten von Anstalts-Patienten". Berühmtes Beispiel hierfür ist die Sammlung Prinzhorn an der Universität Heidelberg.
jährlich etwa 30 Todesfälle.Die Hinwendung zum bildnerischen Ausdruck in Werken von psychisch kranken Menschen war eine Voraussetzung für die Entwicklung und Etablierung von künstlerischen Therapien und anderen ausdrucksorientierten Therapieangeboten im Rahmen der Arbeits- oder Ergotherapie.
Die anhaltende Überfüllung der Anstalt hatte zur Folge, dass der Betrieb des bestehenden Sektionszimmers mit angrenzendem Leichenraum in einem Hauptgebäude der Anstalt zunehmend Schwierigkeiten bereitete. Die Zahl der in der Anstalt Verstorbenen hatte sich in einem Zeitraum von 10 Jahren verdoppelt auf jährlich etwa 30 Todesfälle.
Bei einer Visitation des Medizinalkollegiums 1897 wurde die Notwendigkeit einer Verlegung der Leichenuntersuchungsräume festgestellt und der Bau eines Sektionshauses mit Aufbahrungsraum nahe beim Anstalts-friedhof vorgeschlagen. Die Direktion sah in ihrer Planung für „das zu erstellende Leichenhaus“ neben dem Sektionsraum auch ein Zimmer für Untersuchungen vor, in welchem „neben den bereits vorhandenen umfangreichen Sammlungen von Schädeln fernerhin alle pathologisch-anatomischen Präparate“ untergebracht werden sollten.
Das königl. Bezirksbauamt Ulm wurde 1898 mit der Planung des Leichen-hauses beauftragt, eine erste Kostenübersicht veranschlagte 9.000 Mark Baukosten. Der Entwurf von Bauinspektor Weiß und dem Baudirektor Bok aus Ulm sah ein kapellenähnliches Gebäude vor, dessen Äußeres sich dem Erscheinungsbild des barocken Klosters anpassen sollte. Das Gebäu-de enthielt im Untergeschoß eine Leichenkammer und einen Geräteraum, im ersten Stock einen Aufbahrungsraum, einen Leichenöffnungsraum und ein Mikroskopierzimmer. Ein elektrischer Aufzug verband die beiden Geschosse.
Im Herbst 1899 wurde mit den Bauarbeiten begonnen und im Juni 1900 war der Rohbau fertig gestellt. Im Dezember 1901 berichtete die Anstaltsdirektion schließlich dem Medizinalkollegium in Stuttgart:
„Das Leichenhaus ist nun seit einigen Tagen bezogen.“
Mit dem Eintritt in eine Anstalt wurden die Kranken einer ununterbrochenen Beobachtung und Kontrolle unterzogen. Die dauernden Untersuchungen und die Niederschriften des gewonnenen Materials über die Patienten sollten der diagnostischen Klärung dienen. Sie ziehen sich über den gesamten Aufenthalt in der Anstalt hin. Jeden Tag wird nachgetragen, was an Auffälligkeiten bemerkenswert war.
Die Aufzeichnungen über messbare körperliche Werte wie
und beobachtbares Verhalten wie
summieren sich zu Listen, Kurven oder Protokollen, die in den Krankenakten dokumentiert und fortan der Kontrolle und dem Einfluss der behandelnden Ärzte unterstellt sind.
Zwiefalten wurde im Jahr 1940 zu einer „Vorstation von Grafeneck“, wie es eine junge Assistenzärztin erschüttert beschrieb:
„Der lange, ehemalige Klostergang war übervoll mit Patienten gepfropft. Sie lagen auf der Erde, auf den Stühlen, auf Strohsäcken, auf Tischen, bunt durcheinander, alte und junge, unförmige, mißgestaltete, völlig kahl geschorene Menschen, denen mit blauer Farbe eine Nummer auf die Vorderstirn und auf den Unterarm aufgeschrieben war.“
Unter den Bedauernswerten ist die 63jährige Witwe Florina O., die im Juni 1939 nach Zwiefalten „verlegt“ worden war. Ihr Schicksal ist beschlossen, da sie seit vielen Jahren in Anstalten lebt und Jüdin ist. Sie wird am 13. August 1940 zusammen mit 75 anderen Frauen nach Grafeneck deportiert und am gleichen Tag ermordet.
Unter den männlichen Opfern ist auch Fridolin J., der aus der unmittelbaren Nähe Zwiefaltens stammte. Er sei „ein fleißiger, tüchtiger Hausarbeiter“, wie es in der Krankenakte heißt. Er wird aber am 12. Juni 1940 nach Grafeneck deportiert, weil er aus „kriegsbedingtem Mangel an Material“ nicht weiter in der Bürsten-macherei beschäftigt werden konnte und „entbehrlich“ geworden war.
Als im Frühjahr 1941 die Vernichtungsanstalt Grafeneck geschlossen und nach Hadamar verlegt wird, gehen die Krankenmorde in Zwiefalten weiter. Die Direktorin Martha Fauser ordnet an, Patienten durch die Überdosierung von Medikamenten zu töten. Der Abteilungspfleger Clemens Schirmer berichtete, einmal habe „das auch Frau Doktor Fauser von mir verlangt, ich habe mich aber geweigert, es zu tun.“ Auf seine Weigerung folgt keine Strafe, er wird aber bis zum Kriegsende von Beförderungen ausgeschlossen.
Die im 19. Jahrhundert aufkommende Psychiatrie konzentrierte Schutz und Fürsorge für die Geisteskranken in zentralen staatlichen Einrichtungen. Hier fanden die Kranken Ruhe und Geborgenheit. Die Isolierung an abgelegenen Orten war aber auch eine Maßnahme, die Kranken einfach los zu werden.
Schon früh setzten die Ärzte darauf, dass sich die Kranken im Schutze der Anstalt an ein vernünftiges Leben gewöhnen sollten. „Außer den geeigneten baulichen Einrichtungen der Anstalten“ dienten hierzu „ein tüchtiges und gut geschultes diszipliniertes Personal“ und „die Macht einer vernünftigen Hausordnung“, der die Kranken wie auch das Personal unterworfen waren.
Dahinter stand die Idee, dass der Anstaltsaufenthalt an sich heilsam sei. Dem sollte eine strenge Hausordnung und ein genau geregelter Tages-ablauf dienen.
So entstanden mit den „staatlichen Irrenanstalten“ moderne Wirtschaftsbetriebe, in denen sich eine Vielzahl von Beschäftigen rund um die Uhr um Patienten kümmerten. Sie hatten dafür zu sorgen, den Anstaltsbetrieb aufrecht zu erhalten. Die immer größer werdende Organisation des Anstaltsbetriebes führte jedoch auch zu einer Zunahme von institutio-nellen Zwängen. Eine Vielzahl von Regelungen prägte den Alltag und nahm all jene, die hier arbeiteten und lebten, immer mehr in Anspruch.
Schon zur Zeit der Anstaltsgründung wurde per Dienstanweisung verfügt, dass bei gestorbenen Kranken eine Leichenuntersuchung vorzunehmen und das Ergebnis der Sektion aufzuzeichnen sei. Neben der Feststellung der Todesursache sollten auch brauchbare anatomische Grundlagen über die Ursachen der Geisteskrankheiten gewonnen werden.
Bis zum Jahre 1901 befand sich das Leichen- und Sektionszimmer der Anstalt im Erdgeschoß des Gastbaus. Als im Jahre 1889 der Gemeinde-friedhof zu klein wurde, erhielt die Anstalt auf einem etwas abgelegenen Gelände am Rande der Anstaltsgärten eine eigene Begräbnisstätte, wo dann auch das neue Leichenhaus im Jahre 1901 fertig gestellt wurde. In diesem, später noch erweiterten Gebäude, wurden bis in die 1980er Jahre Sektionen vorgenommen. Seziert wurde aber fast nur noch bei unklarer Todesursache auf richterliche Anordnung – bis auch diese Fälle nach Reutlingen in die Pathologie abgegeben wurden.
Geboren in Feldstetten und aufgewachsen in Blaubeuren lebte Pöhler seit den 1890er Jahren als Angestellter in Stuttgart. Ab einem Alter von 24 Jahren wurde er durch kleinere Straftaten aktenkundig. Die sich häufenden Delikte verdichteten sich zu Anzeichen einer psychischen Erkrankung. Eine Eingabe an den Württembergischen König mit der Bitte um eine „Staats- und Socialreform“ führte nach einer amtsärztlichen Untersuchung 1895 zur Einweisung in das Bürgerhospital Stuttgart. Mit der Diagnose „primäre halluzinatorische Verrücktheit“ wurde der 28jährige Pöhler 1895 in die Heil- und Pflegeanstalt Schussenried verlegt.
In den folgenden 14 Jahren kam es in dichter Abfolge zu einer Vielzahl von Aufenthalten in verschiedenen Anstalten. Ein ärztlicher Referent vermerkte in Pöhlers Krankenakte: „Er ist Stammgast in fast allen württembergischen Irrenanstalten.“ Im letzten vorliegenden Gutachten wurde er als „dauernd geisteskrank“ eingeschätzt („paranoide Form der Dementia praecox“). Jedoch sind ab 1909 keine weiteren Aufnahmen in Anstalten bekannt.
Im Alter von 40 Jahren fand seine über 14 Jahre währende Anstaltsbiographie anscheinend ein Ende. Nach einem missglückten Versuch, sich als selbständiger Fotograf mit eigenem Atelier zu etablieren, wurde er schließlich Steuersachverständiger mit eigenem Büro in Stuttgart.
Friedrich Pöhlers Anstaltsaufenthalte 1895-1909:
Dez. 1895 | Bürgerhospital Stuttgart |
Dez. 1895 - Juli 1896 | Anstalt Schussenried |
Aug 1897 - Okt. 1898 | Heilanstalt Winnental |
Okt. 1898 - Juni 1899 | Pflegeanstalt Zwiefalten |
Sep. 1899 - März 1900 | Nervenklinik Tübingen |
Dez. 1900 - Jan. 1901 | Bürgerhospital Stuttgart |
Jan. 1901 - Aug. 1901 | Heilanstalt Winnental |
Sep. 1902 - Feb. 1903 | Heilanstalt Weissenau |
Mai 1903 | Bürgerhospital Stuttgart |
Nov 1904 - März 1905 | Heilanstalt Weinsberg |
Juni 1905 - Sept. 1905 | Privatheilanstalt Göppingen |
Okt. 1906 - Dez. 1906 | Nervenklinik Tübingen |
Juni 1907 - Juli 1907 | Bürgerhospital Stuttgart |
Juli 1908 | Bürgerhospital Stuttgart |
Feb. 1909 | Bürgerhospital Stuttgart |
Okt. 1909 | Haslachmühle bei Wilhelmsdorf |
Josefine Rade trat am 27. April 1911 in die Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten ein, sie war vorher als Hausmädchen „in Stellung“ gewesen. Nach einer kurzen Einweisung nahm sie gleich an Abendkursen teil, die der Oberarzt anbot, wenn er Zeit hatte. Mit ihrem Zeugnis „Sehr gut“ erlangte sie am 14. März 1913 den Titel „Wärterin“.
Der Dienst auf ihrer Station begann um 6:00 Uhr und dauerte bis 19:30 Uhr. Die Mittagspause war eine Stunde lang. Unter der Woche gab es einen halben Tag und jeden dritten Sonntag frei. Die Nachtwache wurde immer von zwei Wärterinnen ausgeübt, denen eine Liege im Wachsaal zur Verfügung stand. Der Schichtwechsel erfolgte alle vier Wochen. Da die Nachtwache besser bezahlt wurde, übernahm sie den Nachtdienst oft für zwölf Wochen.
Morgens, nach dem „Saubermachen und Richten“ der Patientinnen, kam um 8:00 Uhr der Stationsarzt mit der Oberpflegerin zur Visite und ordnete gegenüber der Oberwärterin die Medikation an, die an die Pflegerinnen weitergegeben wurde. Nach dem Mittagessen auf der Station durften die Patientinnen, die dazu in der Lage waren, aufstehen und die Station verlassen, wenn sie eine Arbeit hatten, während die Unruhigen im Bett bleiben mussten. Da die Aussichten für „gewöhnliche Pflegerinnen“ schlecht waren, beendete sie ihr Dienstverhältnis wegen „besserer Aufstiegschancen“, am 14. Februar 1917. Sie wollte heiraten.
Die Behandlung der Irren wurde als eine der schwersten Aufgaben der praktischen Medizin angesehen. Um die Unterbringung und Methoden anderer Anstalten studieren zu können, wurden vom Königl. Medizinalkollegium erstaunlich lange Dienstreisen genehmigt.
1817 besuchte der Zwiefalter Direktor Andreas Elser vor seinem Amtsantritt die Anstalt Sonnenstein bei Pirna, die als vorbildlich galt.
1831 unternahm, ebenfalls vor seiner Einsetzung, der zukünftige Direktor Carl Schäffer „eine wissenschaftliche Reise“ zu Anstalten in England, Frankreich und Deutschland.
1862 bereiste der Assistenzarzt August Landenberger Anstalten in Österreich und Deutschland.
1864 unternahm der Assistenzarzt Edmund Neuschler eine sechsmonatige Reise in Belgien und England, um vor allem die Familienpflege zu studieren.
Über Ihre Erfahrungen mussten sie dem Königl. Medizinalkollegium Reiseberichte vorlegen. Diese Berichte wurden vielfach veröffentlicht und führten zu lebhaften Diskussionen in der Kollegenschaft.
Bevorzugtes Forum war das „Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten“, eine Zeitschrift, die Wilhelm Griesinger, Ludwig Meyer und Carl Friedrich Otto Westfal 1867 gegründet hatten. Es war eine Kampfschrift gegen die Anstaltspsychiater und ihre „Allgemeine Zeitschrift“, um die freiere Behandlung der Irren und die Abschaffung des Zwangs zu fördern.
In den Reiseberichten spiegelt sich die Entwicklung der deutschen Psychiatrie wieder, die von Anfang an internationale Behandlungserfolge aufgegriffen und weiterentwickelt hat.
In einem „Antikenlager“ auf einem Dachboden der Anstalt fanden sich neben anderen Gegenständen zwei ältere Gipsreliefs sowie eine kleine Sammlung von bunten Steinen. Offenbar als ausreichend bedeutungs- und wertvoll befunden, wurden diese Gegenstände einst für die Zukunft aufbewahrt. Dann über Jahre und Jahrzehnte vergessen, ist heute wenig oder nichts mehr zu diesen überlieferten Dingen bekannt. Herkunft, Gebrauch und Bedeutung der Objekte müssen erst wieder erschlossen werden.
Was bleibt von einer Institution mit beinahe 200jähriger Vergangenheit erhalten?
Was erachten die Mitarbeiter für sammel- und erhaltenswert?
Was wird in den verschiedenen Epochen der Hausgeschichte aufgehoben?
Und was verschwindet, wird nicht bewahrt, wandert auf den Müll und wird vergessen?
Die Vergangenheit erschöpft sich nicht in Jahresberichten, Dokumentationen,
Archiven oder Sammlungen von ausgemusterten Altgeräten. Längst nicht alles
wird zum historischen Merkzeichen und damit Bestandteil einer lokalen Identität.
Bestimmte Bereiche der Vergangenheit tauchen in privater oder offizieller
Überlieferung gar nicht auf. Andere, einst hoch geschätzte Erinnerungen,
verlieren an Bedeutung und geraten in Vergessenheit. „Geschichte“ entsteht
erst aus der immer wiederkehrenden Befragung der Vergangenheit im Lichte unseres heutigen Interesses.
Auch die Funde aus dem „Antikenlager“ haben Hochs und Tiefs des Interesses an ihnen hinter sich. Wenn wir uns heute mit diesen, aus ganz unterschiedlichen Intentionen gesammelten, Dingen wieder beschäftigen, dürfen wir ihren einstigen Glanz als Erinnerungsposten nicht außer Acht lassen.
19. Jahrh. mechanische und freiheitsbeschränkende Maßnahmen:
Beruhigungsmittel | |
Opium, Alkohol | |
1854 | Morphin |
1857 | Bromsalze |
1869 | Chloraldurat |
1882 | Paraldehyd |
ab 1903 | Barbiturate (Veronal) |
Neue Behandlungsformen wie | |
1910 | Salvarsan (1. injizierbares Arsenpräparat) |
1917 | Malaria-Infektionstherapie (nach Wagner-Jauregg) |
1922 | Dauerschlaftherapie (nach Klaesi) |
1924 | systematische Arbeitstherapie (nach Simon) |
1934 | Cardiazol-Krampftherapie (nach Meduna) |
1935 | Insulin-Koma-Behandlung (nach Sakel) |
1935 | Leukotomie (nach Moniz) |
1939 | Elektro-Krampftherapie (nach Cerletti) |
Neuroleptika (Antipsychotika) | |
1952 | Chlorpromazin (Megaphen) |
1964 | Haloperidol |
1968 | 1. Depotpräparate |
1972 | Clozapin (Leponex) |
1990 | neue atypische Neuroleptika |
Thymoleptika (Antidepressiva) | |
1958 | Imipriamin (Tofranil) |
Amitryptilin (Saroten) | |
Doxepin (Aponal) | |
1967 | Lithium |
Tranquilizer | |
1955 | Meprobamat |
1969 | Diazepam (Valium) |
Lorazepam (Tavor) |